2022 Legendenstein an der Bleiche

04.07.2022

 

Die Bleiche am westlichen Stadtrand von Eldagsen nördlich der Springer Straße hat viel mit der Entdeckung des Herrn Koch zu tun. Diese Fläche hat eine lange Geschichte. Ihrer Zweckbestimmung entsprechend konnten Eldagsens Hausfrauen in einer Zeit, die außer Schmierseife keine moderneren Waschmittel kannte, geschweige denn den einmal möglich werdenden Gebrauch von Waschmaschinen und Wäschetrocknern erahnte, ihre Wäsche auf der dortigen Grünfläche bleichen. Im Winter flutete die Stadt sie mit dem Wasser des Gehlenbaches in der Hoffnung, dass er es in eine Eisfläche verwandeln würde, so dass Alt und Jung sich dort der Freude des Eislaufens hingeben könnte. Später, um das Jahr 1910, entstand auf dem dem Gehlenbach nächstliegenden Teil das erste Eldagsener Freibad. Als sich im Jahre 1921 der Fußballclub gründete, nutzte er die restliche Freifläche bis zur Fertigstellung des Jahnplatzes an der Hindenburgallee für seine sportlichen Veranstaltungen.

Im Jahre 1934 entstand hier ein Barackenlager des Reichsarbeitsdienstes (siehe Titelbild von 1937). Als der Reichsarbeitsdienst Eldagsen 1943 verließ, entfernte er auch seine bisherigen Barackenunterkünfte. Lediglich ein kleines Massivgebäude, in dem zur Liegewiese des angrenzenden Freibades hin der Karzer untergebracht worden war, und einige kleinere Wirtschaftsbaracken blieben bestehen. Sie nutzte zunächst die offizielle Viehverwertung, indem sie dort das wöchentlich von den Bauern anzuliefernde Schlachtvieh unterbrachte. Diese teilte nämlich den Schlachtereien den Erfordernissen der kriegsbedingten Planwirtschaft entsprechend diese Tiere zur weiteren Verwendung zu. Nach Ablauf einer gewissen Zeit zog die Viehverwertung in die Stallgebäude des ehemaligen Viehhändlers Goldschmidt in der Schützenstraße um.

Die vom Reichsarbeitsdienst hinterlassenen Gebäude pachtete nunmehr ein in Hannover ausgebombter Herr Koch. Er ließ hier überwiegend mit Hilfe von Frauen und Männern, die zum Teil ebenfalls infolge des alliierten Luftkrieges in Hannover ausgebombt oder aus altersbedingten Gründen nicht bzw. aus körperlichen Gründen nicht mehr wehrdienstfähig waren, Gasmasken für die Wehrmacht produzieren, daneben allerdings auch orthopädische Einlegesohlen. Mit der Kapitulation des Dritten Reiches entfiel die Voraussetzung für einen Teil dieser Erzeugnisse.

Nach der Kapitulation im Mai 1945 nutzten die durch die Kriegsereignisse nach Eldagsen verschlagenen Zwangsarbeiter – vornehmlich Polen – das Gelände vor den genannten Gebäuden als inoffizielle Sportstätte. Bis zur Rückführung in ihre Heimat spielten sie dort Faustball. Inwieweit sie die Gebäude, die von der Firma Koch genutzt wurden, für sich in Anspruch nahmen oder nehmen durften, entzieht sich der Kenntnis des Chronisten.

Und so endete die Produktion der Firma »Koch & Stephanus«, wie sie sich nannte, in Eldagsen – dem Ort, in dem sie in den Wirren des Zweiten Weltkrieges in provisorischen Verhältnissen einen neuen Anfang gefunden hatte.

Da sich jedoch diese Zeitzeugenbeschreibung auf das Jahr 1955 bezieht und dem AKSE keine Angaben darüber vorliegen, wann genau in Eldagsen die Herstellung dieser Absätze begann, kann Herr Koch für sich vermutlich nicht die Erstentdeckung dieses Formgebungsverfahrens für Polystyrol – um nichts anderes als diesen von der BASF unter dem Markennamen »Styropor« vertriebenen Kunststoff nämlich handelte sich – beanspruchen, da es bereits im Jahr 1952 vom BASF-Ingenieur Dr. Fritz Stastny analog der hier dargestellten Verfahrensweise beschrieben und das Grundpatent des Unternehmens entsprechend erweitert wurde. Ob Herrn Kochs mutmaßliche Parallelentdeckung möglicherweise zumindest eine methodische Neuerung gegenüber der BASF-Produktion darstellte, ist nicht bekannt.

(Fr.-W.Wiegmann, E.Beckmann, M.Heine)

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